Stadteildetektive!

„Können Sie uns sagen, wie die Kinder der Besitzerin heißen?“ Auf dem Gesicht der Fachverkäuferin des gemütlichen Buchladens machte sich ein behagliches Lächeln breit. Sie schaute erst in das Gesicht der stupsnasigen Neunjährigen und dann zur ganzen kleinen Gruppe der Stadteildetektive. Bereitwillig nannte sie die Namen und erwähnte, dass sie auf dieses Treffen bestens vorbereitet wurde. Es schien fast so, als würde sie auf vertraute Bekannte treffen. Meine Kollegin hatte mit sehr viel Herzblut diese Stadteilrallye für unser Ferienprogramm vorbereitet. Sie war Wege abgegangen, hatte geschaut, ob die Fragen auf dem Fragebogen der Kinder nicht zu leicht oder zu schwer waren. Zeit und Überlegung hatte dies gekostet, immer mit einem stillen, frohen Lächeln für die Kinder. Wie sie es wohl machen würden? Fünf Kinder nahmen mich mit. Ja, genau so herum muss ich es beschreiben, schließlich waren sie die Stadteildetektive und ich der Begleitservice. Jede Gruppe hatte fünf Kinder, von der Vorschule, bis zur vierten Klasse. Dies haben wir ganz bewusst so entschieden. Natürlich musste man auf die Kleinen aufpassen. Und was sich erst als nicht ganz so sehr begeisterungswürdige Anfangssituation darstellte, wurde zur beliebten Aufgabe. Die Kleinen sind schließlich auch süß, beschlossen die Älteren. Und wenn man mal über andere zu bestimmen hat, ist das auch ein guter Zeitvertreib. Doch die Aufgabe der Kinder war es, Rätsel zu lösen und dann die Ergebnisse einzutragen, um auf ein Lösungswort zu kommen. Dabei kam es nicht darauf an, erster zu werden. Es ging darum, gut zusammenzuarbeiten. „Hier ist schon wieder so eine Bäckerei und ich habe Hunger!“, rief die Älteste. Zugegeben, es duftete sehr verlockend, doch hatten wir gerade ein gemeinsames Frühstück gehabt. „Wie heißt der Baum vor der städtischen Bankfiliale?“ „Wir wussten gar nicht, dass Bäume Namen haben!“ Nein, sicherlich nicht und auch nicht, dass sie ihren Baumnachbarn über ihr Wurzelgeflecht Mineralien geben, wenn einer ihrer „Kollegen“ an einem  Mangel leidet. Doch hier ging es nicht um Biologie, sondern darum, Fragen auf einem Blatt Papier zu beantworten. Nach außen schauen und dann überlegen. Dies setzt Verknüpfungen zwischen dem Mittelhirn und dem Cortex. Ohne es zu wissen, bereitet es sie auf ein reflektierendes Denken vor. Alles, was in den Kindern Wissen und Erfahrungen schafft, kommt weitgehend von außen, von den Eltern, den Lehrern, Erzieherinnen und Erziehern und jedem, dem sie begegnen. Als Detektive aber mussten sie Gegebenheiten prüfen, Ideen hinterfragen und erfuhren so neue Wege des Denkens und Empfindens im Spiel, dem wohl größten Lehrer der Natur. So wanderten sie um die beschriebene Stelle herum, bis sie nach knapp zwei Minuten die Friedenseiche endlich – endlich gefunden hatten.  Weiter ging es. Schon wieder ein Geschäft, das Leckereien feil bot und der Chor der armen Hungernden sang das bekannte Lied. Hm, einen Kaffee, dachte ich. Ich trinke sonst nie am Vormittag Kaffee. Ich nutzte die Gelegenheit, um meinen Kindern mit Empathie zu begegnen. So gab ich zu bedenken, dass ich zur nun allgemein ausgebrochenen Hungersnot auch noch eine „schwere“ Tasche zu tragen hatte. Ich sei ja auch groß, gaben sie ungerührt zur Antwort. Tja, das hatte ich nun davon.

Was da wohl drin sei, fragten sie. Geheimsache, war doch klar. Sicherlich etwas Essbares, beschlossen die Kinder. Reflektierendes Denken und knurrende Kindermägen schlossen in diesem Augenblick ein Pakt tiefer Freundschaft und der Geist erhielt das Gefühl der Hoffnung zum Geschenk. Ach, es war ein schöner Tag. Meine Wetter App sollte sich unserer Detektivgruppe anschließen, dachte ich. Nichts als Regen hatte sie vorausgesagt, doch dankbarerweise war es nur bewölkt gewesen.  Endlich wurde das letzte Rätsel gelöst. Wir saßen drinnen vor der Bücherhalle und nun erhielten die Kinder das, was das Lösungswort verlocken ließ: einen Schatz! Es gab für jeden einen großen saftigen Apfel, eine Bretzel, die meine Kollegin vor der Arbeit im Ofen aufgebacken hatte und eine kleine Minitüte Gummibärchen.  Nach zweieinhalb Stunden gelangten wir wieder zurück. Es waren viele kleine und große Schritte und mindestens so viele Gedanken, Ideen und Prüfungen gewesen. Dieser Ausflug hatte nahezu keine Kosten erzeugt, niemand war aufgrund seiner Lebenssituation gesondert gestellt worden. Viele der Kinder, die in diesem Stadtteil leben, kennen sich nun besser aus.  Sie hatten dabei sehr auf einander achtgegeben und nicht nur das. Sie hatten auch auf mich aufgepasst, dass ich nicht bei den vielen verlockenden Cafés verloren ging. Schließlich galt es, eine wahre Unzahl an Aufgaben zu lösen. Nun, was konnte man mehr von einem bewölkten Vormittag erwarten! Jürgen Hochfeld

 

 

(Ich bestätige die Freigabe zum Druck in Ihrer nächsten Ausgabe. Bedingung dafür ist, dass der Text nicht verändert wird. Dieser Text unterliegt dem Copyright).